Gampelen / 12. November 2016
ULTRA LAC DE NEUCHÂTEL
Nun sind es fast drei Monate her, als ich wohl die hässlichste Buchstabenkombination unter meinem Namen in der Rangliste des Swiss Irontrail T201 wiederfand. DNF!!
Alles begann kurz nach dem Eiger Ultra Trail, als ich mich Hals über Kopf für die Königsdisziplin des Swiss Irontrail in Davos, den T201 (201 km / 11‘500 HM nonstop), angemeldet hatte. Dies obwohl meine Gelenke, im Speziellen das linke Knie, und die Beinmuskulatur keineswegs genügend regeneriert waren…
Es kam wie es kommen musste. Nebst der fehlenden mentalen Fokussierung und der ungenügenden Regeneration kamen nun auch noch schlechte Wetterbedingungen hinzu. Was hier wie eine Entschuldigung tönt, ist alles andere als eine. Die Verantwortung meiner Handlungen liegt ganz alleine bei mir – so viel habe ich inzwischen gelernt. Denn ich habe dafür trainiert, ich meldete mich für den Lauf an, ich liess dem Körper nicht die nötige Ruhe, ich habe die Bekleidung und die Ausrüstung ausgewählt, mein Magen hat rebelliert, ich habe zu wenig getrunken, ich bin gestürzt, ich konnte mich mental nicht durchsetzen, ich …, ich…, ich war einfach nicht bereit dazu! Es gibt keinen anderen Schuldigen als ich selbst.
Schon bei km 73 in Pontresina habe ich meinen Tracker abgegeben und somit mein Ausscheiden besiegelt. Was ich zuerst als grosse Erleichterung empfand, tat später doppelt weh. Nämlich als ich 1 ½ Tage später mein Aufgabegepäck im Zielbereich wieder in Empfang nehmen musste und gleichzeitig die jubelnden Finisher einliefen. Vieles, wirklich sehr vieles hätte ich in diesem Moment dafür gegeben, um mit den Glücklichen zu tauschen. Erst jetzt, ungefähr drei Monate später, kann ich von mir sagen, dass ich die Niederlage mental verarbeitet und weggesteckt habe. Eines ist klar – das lasse ich nicht einfach so stehen. Im 2017 wird die Geschichte neu geschrieben.
Die Saison ist bisher so gut verlaufen, dass es richtig schade wäre, diese mit einer Niederlage zu beenden. So entschloss ich mich, für den vorläufigen Saisonabschluss, den Ultra Lac de Neuchatel 93 km auszuwählen.
Am Samstag 12.11.16 um 04.45 Uhr hole ich meine Mutter und meine Schwester Angela von zu Hause ab. Die beiden werden zwei mobile Verpflegungsposten einrichten und uns LäuferInnen mit Essen und Getränken versorgen. Noch im Dunkeln erreichen wir das Startgelände, den Parkplatz des Restaurants Rothaus in Gampelen. Die Uhr zeigt 05.45 Uhr – noch eine halbe Stunde bis zum Start. Vincent, mit dem ich u. a. auch schon den Ultra Bielersee XXL gelaufen bin, fährt als fünfter und letzter Läufer kurz nach 6 Uhr auf den Parkplatz. Das bescheidene Startfeld, eine Frau und 4 Männer, setzt sich kurz nach 06.15 Uhr langsam in Bewegung. Allen voraus Christoph Allemann, der Organisator, mit dem Rennrad. Da die Strecke nicht markiert ist, wurden wir alle mit einer Karte ausgerüstet. Dabei soll der kürzeste Weg im Uhrzeigersinn um den Neuenburgersee gewählt werden. Vincent und ich laufen von Beginn an vorn weg. Es ist schwierig sich im Dunkeln zu orientieren. So erstaunt es auch nicht, dass wir 3 km später in einer Sackgasse landen. Nach kurzem Umherirren und mithilfe des restlichen Läuferfelds, welches uns inzwischen wieder aufgeholt hat, ist der richtige Weg schliesslich schnell gefunden. Noch ein paar Kilometer laufen wir zu dritt, danach werden wir uns bis zum Rennende nicht mehr sehen. Über den Uferweg komme ich zu einer kleinen Gabelung. Eine Tafel weist daraufhin, dass der alte Pfad nicht mehr unterhalten wird und deshalb nicht zu empfehlen sei. Genau diesen wähle ich – es wird ja sicher der kürzere Weg von beiden sein. Kurze Zeit später finde ich mich im knöcheltiefen Wasser wieder, übersteige Baumstämme und kämpfe mich durchs Dickicht. Nach dem 1 km-Hindernisparcours und völlig durchnässten Schuhen geht’s dann unter normalen Bedingungen weiter. Der Tag ist längst eingebrochen und so kann ich auch meine Stirnlampe im Laufrucksack verstauen. Bei km 36 in Cheyres erwartet mich mein Vater mit dem Velo. Eine willkommene Abwechslung! Zusammen geht’s weiter Richtung Yvonand, wo der erste Verpflegungsposten auf uns wartet. Meine Mutter und meine Schwester haben dort ein riesen Verpflegungsbuffet eingerichtet. Ich esse mich einmal quer durch und spüle das Ganze mit einer salzigen Bouillon hinunter. Frisch gestärkt nehme ich nun die lange Gerade zwischen Yvonand und Yverdon unter die Füsse. Obwohl ich gedacht habe, dass diese Gerade niemals enden wird, erreiche ich Yverdon-les-Bains lockeren Fusses. Mit der Stadtdurchquerung ist die Rennmitte erreicht - nun geht es auf die „Zielgerade“. Ausser zwei Begegnungen mit Hunden, welche mir an die Wade wollten und dem Verpflegungsposten in Bevaix gibt es bis Neuenburg keine nennenswerten Ereignisse zu erwähnen.
Hier, an der Seepromenade in Neuenburg, geniessen viele Leute die wohltuenden Sonnenstrahlen. Immer und immer wieder müssen wir den Spaziergängern ausweichen. Slalomartig bewegen wir uns durch die Menschenmassen, wobei keiner von denen die geringste Ahnung davon hat, dass hier ein Rennen im Gang ist. Wie auch ohne Startnummer? Schon etwas von den Strapazen gezeichnet bin ich im Moment etwas langsamer unterwegs. Deshalb dauert es auch nicht lange, bis mich ein älterer Herr joggend und mit gespicktem Stolz überholt. Ich nutze die Gunst der Stunde und lasse mich von ihm ziehen. Leider hält das Glücksgefühl nicht lange an. Nach einem halben Kilometer zu zweit beginnt er bereits mit seinen abschliessenden Dehnübungen. Schade!
Die letzten Kilometer ziehen sich noch gewaltig in die Länge und trotzdem erreiche ich nach 9 Stunden und 48 Minuten das Ziel beim Restaurant Rothaus. Als ich mit meinem Vater zusammen einlaufe, kommt Christoph gerade aus dem Restaurant und gratuliert mir als erster zum Finish. Bei einem gemeinsamen Bier lassen wir den Tag Revue passieren. Später gesellen sich Vincent und Ursula auch noch zu uns – die andern beiden mussten den Lauf leider verletzungsbedingt früher beenden.
Fazit: Schöner, gut organisierter, flacher Lauf unter familiären Bedingungen. Absolut empfehlenswert!